Kinder brauchen und lieben die Natur

16. Februar 2016/von A. Wolfensberger mit M. Weissert/0 Kommentare

«Dass Kinder die Natur brauchen und lieben, ist nichts Neues. Neu ist, dass wir Erwachsenen uns bewusst für die Nähe der Kinder zur Natur einsetzen müssen. Die Nähe entsteht, besonders in städtischen Gebieten – nicht einfach so.»

Der Umweltpädagoge Markus Weissert schildert im Gespräch mit Andrea Wolfensberger seine Sicht.

Zur Person Markus Weissert war langjähriger Leiter der Neuropädiatrie im Ostschweizer Kinderspital St. Gallen. Heute beschäftigt er sich mit Umweltpädagogik und Gesundheit und ist im WWF St. Gallen für die Ressorts Wald/Landschaft zuständig.

Wie haben Sie die Natur in Ihrer Kindheit erlebt?

Wir haben bei jedem Wetter jeden Tag draussen gespielt. Im Schulalter waren wir - nach den Hausaufgaben, versteht sich, bis zum Nachtessen mit den Nachbarskindern unterwegs. Freie Mittwochnachmittage verbrachten oft wir in einer kleinen Gruppe von Freunden im Wald, bauten Hütten, stauten Bäche, spielten Verstecken (ohne Elternaufsicht!). Später folgten viele Pfadi-Jahre mit tollen Lagererlebnissen bis in die OOberstufe, zuletzt in Leiterfunktion.

Heute sieht die Kindheit anders aus. Was sind die entscheidenden Unterschiede zu früher?

Kinder haben es heute schwerer, ihren Freiraum selber zu gestalten; vieles ist verplant, strukturiert - Spontanes oder Überraschendes fehlt leider vielfach. Konsum statt Kreativität, Sitzen statt Bewegen, Sicherheit statt Risiken auszuprobieren, Helikoptereltern statt Entwicklung zur Selbständigkeit; Erziehung ist kaum mehr intuitiv-einfühlsam, sondern rational angelernt. Zum Glück gibt es immer mehr Eltern, welche die Zeichen der Zeit erkannt haben und ihren Kinder wieder Raum geben für eine naturverbundene Entwicklung.

Wie nehmen Eltern heute ihre Rolle wahr und welche Rolle übernehmen Institutionen wir der „Chindertroum“?

Es gibt zwei Möglichkeiten: Erstens, Eltern mit einem dauernden Drang zu Fördermassnahmen wie English Club, Sport, Musik, Ballett etc. Da bleibt für diese gehetzten Kinder (und Eltern) kaum mehr Raum für freies Spiel, für spontanes Abmachen mit FreundInnen oder Ruhe zum Nichtstun, zum Nachdenken, zum Gespräch in der Familie.
Zweitens, Eltern, die ihre Kinder mit allen erdenklichen Geräten zum zeitvertreib zuhause ausrüsten. Die Kinder konsumieren unbeaufsichtigt Games, Videos und Fast Food; sie sitzen zuhause, werden übergewichtig, haben kaum mehr Aussenkontakte, sind zunehmend isoliert. Kitas, Schulen, Horten und Kinderärztinnen kommen hier eine wichtige pädagogische Funktion zu, welche Eltern nicht mehr wahrnehmen können oder wollen. Es besteht Handlungsbedarf in der Elternbildung.

Wie fordert und fördert man die Lernbegierde und Selbständigkeit der Kinder?

Kinder sind von Natur aus neugierig, experimentierfreudig, kreativ – sie können sich mit jedem Material phantasievoll auseinandersetzen, Papier, Karton, Blumen, Tannenzapfen, Wasser – ohne „Spielsachen“. Knackpunkt: man muss sie nur lassen, Gelegenheiten dazu anbieten.

In der Natur sind die Kinder ständig in Bewegung. Sie erforschen, beobachten und experimentieren. Im Spiel verarbeitet das Kind Erlebnisse, die der Alltag mit sich bringt. Durch das Spiel lernt das Kind sich und die Umwelt besser kennen. Demzufolge braucht ein Kind genügend freien Raum zum spielen und dies am besten in der Natur. Heisst das auch, dass der Wald beste Voraussetzungen bietet für die Förderung der Lernbegierde und der Selbständigkeit der Kinder?

Wald und Wiese geben den Kindern viele Anreize zu Bewegungs- und Sinneserfahrungen, zu sozialen Kontakten und zu bleibenden emotionalen Erinnerungen – zum selbständigen Lernen!

Kinder brauchen und lieben die Natur. Denn in Kontakt mit der Natur verbunden mit einem soliden sozialen Umfeld entfalten sich seelische, körperliche und geistige Potenziale, die Kinder zu erfüllten Menschen werden lassen. Unterstützen Sie diese Aussage?

Ich kann dem nur beistimmen. Natur wirkt sich auf die Persönlichkeitsbildung positiv aus, baut Stress und Anspannung ab und verhilft damit zu einem stabilen seelischen Gleichgewicht.

Der Druck auf Kinder ist gross. Der hektische Alltag mit dem Ausmass an Konsumverhalten ( TV, Ipad, Werbung ) ist kaum auszuhalten. Ohne Natur werden Kinderseelen krank. Was denken Sie darüber?

Das ist so - gerade deshalb ist das Gegengewicht der Natur heute noch viel bedeutsamer für die kindliche Entwicklung als früher. Denn viele Kinder haben heute seelische Schwierigkeiten: Überforderung, kindliche Depressionen, Mobbingsituationen, Vernachlässigung, um nur einige Schlagworte zu nennen. Allerdings kann die Natur allein nicht alle gesellschaftlichen Probleme lösen

vom Chindertroum - Andrea Wolfensberger, 16. Februar 2016

Über den Chindertroum

Im Waldkindergarten Chindertroum werden die Leitideen und Ziele des Kindergartenlehrplans für den deutschsprachigen Teil des Kantons Bern umgesetzt mit der Besonderheit, dass die Kinder sich die meiste Zeit im Wald aufhalten. Damit werden die übergeordneten Ziele gemäss Art. 2a des Volksschulgesetzes verfolgt, das Kind in seiner Entwicklung zu fördern, es in eine erweiterte Gemeinschaft einzuführen und ihm damit den Übertritt in die Primarstufe zu erleichtern.

Chindertroum

Bushaltestelle Dübystrasse - Linie 10

Adresse: Schwarzenburgstrasse 59, 3008 Bern

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